Die Welt leidet daran, dass ein großer Teil der Menschen in einer narzisstischen Beziehungsstruktur feststeckt. Darin lautet das Motto: „ich zuerst“. Dieses Maß an Egozentriertheit übersteigt Stück für Stück die Fähigkeit der Erde, dies zu tragen.
Doch woher kommt unsere narzisstische Prägung? Ich möchte dich dazu einladen, Narzissmus in einem neuen Licht zu sehen. Wie alle Beziehungsstrukturen entsteht Narzissmus in unserer (früh)kindlichen Erfahrung.
Es ist das Erleben eines Kindes, um dessen Bedürfnisse es niemals wahrhaftig ging. Dieses Kind musste lernen: „wenn ich mich nicht um mich kümmere, tut es keiner.“ Es musste lernen, eigene Interessen gegen die der anderen durchzuboxen, um ein Gefühl von Autonomie für sich bewahren zu können. Es hat nicht die Erfahrung gemacht, dass da jemand ist, der sich in sein Wesen einfühlt und auf seine Bedürfnisse und Interessen entsprechend eingeht.
Wie viele Kinder haben diese Form der Liebe nie erfahren, die den anderen sieht und fühlt und sein Wohlergehen an erste Stelle setzt? Sie kennen nur „ich oder die anderen“. Und mal ehrlich, wer kennt diese Impulse nicht auch aus seinem Inneren – haben wir alle nicht auf irgendeine Weise solche Erfahrungen gemacht?
Dieses Erleben der Welt zeigt sich symtomatisch in der Corona-Epidemie. Viren „überfallen“ ihren Wirt und dieser kann daran bei bereits bestehender Schwäche zu Grunde gehen. So wie wir Menschen nicht erkennen, dass alle Wesen auf dieser Erde eins sind. Wir alle sind Teile des Großen Ganzen.
Sinnbildlich könnte man sagen, wir sind wie eine Leberzelle, die sich spezialisiert hat und vergißt, dass sie immer noch Teil eines größeren Organismus ist. Wir Menschen haben dieses Einheitsbewusstsein (Aham Brahmasmi) verloren. Wir empfinden uns als getrennte Wesen.
Daraus ergibt sich ein Paradoxon – anstelle alles zu tun, um das Große Ganze am Laufen zu halten, schaut jeder zuerst (und oft genug ausschliesslich) auf das eigene (Über)Leben.
Diese Rechnung kann nicht ewig gutgehen – irgendwann kippt das System um und wir müssen alle erkennen, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben. Es war uns egal, ob andere Wesen (Tiere, Flüchtlinge, Gewässer, usw.) leiden, solange wir es aus unserem Bewusstsein verbannen und wegschauen konnten.
Doch wir haben die Rechnung im wahrsten Sinne ohne den Wirt gemacht. Das Leid anderer beeinflusst uns – ob es nun direkt von uns (unseren Gesellschaftsstrukturen) erzeugt wurde oder indirekt. Wir alle sind ein einziges Nervensystem, das zulange den Schmerz der anderen ausgeblendet hat. Jetzt holt er uns ein.
Und damit es uns auch recht deutlich wird, zeigt es sich als Atemwegserkrankung. Das Luftelement – der Brustraum mit dem Herzen als Zentrum – ist betroffen. Unser Herz weiß um die Einheit und sehnt sich nach dieser bedingungslosen Liebe, die dein Wohlergehen als mein Wohlergehen erkennt.
Wir Menschen tragen das Bedürfnis nach Verbindung mit Anderen in uns. Es liegt in unseren Genen, dass wir nur als Gemeinschaft überleben können. Wir brauchen ein „ich und die anderen“. Corona führt uns diese Vernetzung untereinander vor Augen und darin liegt gleichzeitig die Chance. Wie können wir sie nutzen?
Es gibt 2 Polaritäten, wie Menschen mit dem Auftauchen von Corona umgehen:
Der eine Teil der Menschen reagiert mit Angst. Die Bedrohung erscheint plötzlich näher und wir sind unmittelbarer in unserem eigenen Leben betroffen. Plötzlich scheint es eng zu werden und wir verfallen in eine Art Überlebenskampf.
Dies äußert sich in leichteren Formen (z.B. Hamsterkäufe), kann aber auch all unsere sorgfältig ins Unterbewusstsein verschobenen Ängste an die Oberfläche holen.
Wenn du zu den Menschen gehörst, die plötzlich Angst empfinden im Angesicht der Unsicherheiten und (realen oder auch unrealen) Bedrohungen, besteht deine Chance darin, dir dieser Ängste bewusst zu werden. Denn solange Ängste im Unterbewusstsein schlummern, treiben sie uns zu Ersatzhandlungen, für die wir irgendwann einen Preis bezahlen müssen. Doch alles, was in unser Bewusstsein steigt, kann aufgelöst werden und dadurch zu innerer Freiheit führen (mehr dazu unter ‚Completion Process‘).
Wichtig dabei ist, nicht in einen Reaktionismus zu verfallen. Wenn Angst dein System aufwirbelt, kannst du keine guten Entscheidungen treffen. Handlungen, die aus der Angst heraus entstehen, schaden vielmehr, da sie das Problem nicht lösen sondern verschieben (auf später, auf andere Menschen, usw.). Was kannst du also tun, um nicht reaktiv zu sein? Fühle deine Angst, schau sie dir ganz bewusst an und suche dir einen verständnisvollen Menschen, der dir den Raum dafür gibt und in deiner Angst mit dir fühlt.
Der andere Teil der Menschen reagiert mit „abwiegeln“, „drüber stehen“, „wird schon nicht so schlimm“, usw. Man könnte es auch Ignoranz oder Verdrängung nennen. Zunächst habe auch ich mich dabei ertappt, wie ich in diese Falle tappe. Ich nenne es Falle, weil genau das die Dualität und Trennung aufrecht erhält. Es ist nur die andere Seite der Angst, aber nicht die Auflösung. In Anbetracht des oben beschriebenen Zustands der Welt, ist es sogar angemessen Angst zu empfinden – eine gesunde Angst, die am kollektiven Tiefschlaf rüttelt und Veränderung bewirken kann.
Wenn du zu diesen Menschen gehörst, besteht die Chance darin, dich mehr mit den Ängsten und Sorgen der anderen zu verbinden anstelle dich davon abzuwenden. Man kann niemanden aus seinem Gefühl „herausreden“, auch wenn es noch so logisch erscheint. Man kann die Dualität nur überwinden, indem man sich gefühlsmäßig verbindet, d.h. den anderen in seinen Ängsten sieht und fühlt. Dadurch kann sich das Nervensystem des anderen beruhigen, denn wenn da jemand da ist, der mich mit den Augen der Liebe sieht, kann sich die Angst beruhigen und auflösen.
Unsere Verbindung untereinander wahrzunehmen ist das Heilmittel gegen die Trennung. Die Dualität kann nur überwunden werden, wenn wir ein Gleichgewicht halten können, das den Raum für Angst offen hält, ohne in sie „hineinzufallen“.
Und hier schließt sich der Kreis. Unser aller Verbundenheit, die uns derzeit als Bedrohung erscheint, kann den Kreislauf von Trennung und Angst überwinden. Wir können hineinwachsen in eine Gemeinschaft voller gegenseitiger Fürsorge und Liebe. Und da dies sowieso die zugrundeliegende Wahrheit unseres Daseins ist, braucht es keine heroischen Aktionen, um dies entstehen zu lassen. Es braucht nur ganz alltägliche Handlungen, die dieses Bewusstsein als Feld stärken – beim älteren Nachbarn klingeln und Hilfe anbieten; dem Freund Raum für seine Ängste anbieten; abends einen Segensspruch für all diejenigen, die von (irgendeiner) Krise betroffen sind hinausschicken; ein Dankeschön an die aussprechen, die zur Zeit unsere Versorgung aufrechterhalten; …
Und was ist deine Idee?
weiterführende Links: inspiriert durch Teal Swan „Covid 19 a manifestation of narcissism“ Thomas Hübl „Corona Crisis: remaining related and resilient“